Annelie Pohlen, 2013
Was sieht das Auge, das über die Entstehung der Skulptur im Raum nichts weiß? Stellen sich nicht unweigerlich Erinnerungen an Zerfallsprozesse, etwa nach überall ausbrechenden Bränden ein? Und ist es nicht so, dass in historischen Museen noch die letzten Reste vergangener Baukultur durch Stützvorrichtungen derart erhaben präsentiert werden, dass sie selbst die fortschrittsgläubigsten Besucher wie Trophäen großer Leistungen in einen Zustand des Staunens versetzen? Sicher, das denkende Auge wird alsbald feststellen, dass nicht einmal Heimatmuseen auf die Idee verfallen, derartige Relikte mit schwarzer Acrylfarbe ‚einzukleiden‘. Für Uneingeweihte treiben die Skulpturen und Wandarbeiten von Janine Tobüren ein eigenwilliges Spiel mit der Aneignung von ‚Dingen‘, die die Vergangenheit auf die eine oder andere Weise als genialische Erfindung geadelt hat. Aber wurzelt diese Verklärung von Kulturgütern nicht selbst in der permanenten Vertuschung von ‚kreativem Diebstahl‘, der bestmöglichen ‚Ausbeutung‘ von Hinterlassenschaften früherer Generationen? Tatsache ist, dass sich Tobüren unbekümmert um Original und Plagiat einer kühl kalkulierten Strategie bedient, derentwegen sich die vermeintlich genialische Geste – ob die der Vorfahren, der Zeitgenossen oder die eigene – in Nichts auflöst.
Was wäre geeigneter für eine solche Aneignung als die systematische Auseinandersetzung mit den ‚von höheren Wesen befohlenen‘ spontanen Setzungen der expressiven Malerei. Was bleibt übrig, wenn diese aus einer auf Klebefolie vergrößerten Fassung zunächst kleinformatiger, expressiver Kompositionen – gegebenenfalls den eigenen – ausgeschnitten werden? Ist es nicht reizvoll, sich – wie schon so viele Künstler vorher – an Vorläufer heranzuwagen, um deren in kunsthistorischen Schubladen verpackte ‚Expression‘ gegebenenfalls zu revitalisieren? Wer sich in der Kunstgeschichte, speziell in deren neuerer Sektion, auskennt, wird den Spuren von Tobürens ‚Vorbildern‘ folgen können. Da blitzen Franz Klines heftige Pinselsetzungen auf, jene balkenartigen, schwarzen Formationen in weißem Grund, die die Fläche zu sprengen drohen. Warum nicht eben diese oder ähnlich expressive Gesten in den Raum setzen, wo sie trotz ihrer massiven physischen Präsenz wie fragile Schatten aus dem anhaltenden Strom großer Ideen posieren? Dass nicht erst seit der Postmoderne dem Original immer schon der Zweifel am Genialischen, dem Weihrauch des ausgehenden 19. Jahrhunderts, immanent ist, dafür haben Generationen von Avantgarden den Stoff geliefert. Eben so gelingt es Janine Tobüren, ihre ‚Kunst des Zitierens‘ und Hinterfragens der eigenen Werke wie jener bedeutender Vorfahren augenzwinkernd in eine Hommage an die sich im Reproduktionsstrom revitalisierenden Potenziale expressiver ‚Gesten‘ umzumünzen.
Stephanie Regenbrecht, 2012
Wie ein spontaner Moment der Eingebung, eine Epiphanie sollte es sein. Jedenfalls in der Vorstellung von einem schlafwandlerisch seiner unfehlbaren Intuition folgenden Genies, das für die präzise Umsetzung seiner Bildidee nicht einmal die Klarheit des Bewusstseins braucht.
Originalität und Einzigartigkeit bildeten das Ethos einer Avantgarde, die als spontane Eingebung feierte, was sich bei genauer Betrachtung eher mit den Begriffen Kopie und Wiederholung beschreiben ließe:
„Das Thema der Originalität, das die Vorstellungen von Authentizität, Original und Ursprung mit einschließt, ist die gemeinsame diskursive Praxis des Museums, des Historikers und des Kunstproduzenten. Und das ganze 19. Jahrhundert hindurch waren alle diese Institutionen in dem Ziel verbunden, das Kennzeichen, die Gewähr, die Beglaubigung des Originals zu finden.“[1]
Die Postmoderne hat das Originalitätskonzept ad acta gelegt und sich stattdessen dem mannigfaltigen Terrain des Verweisens und Zitierens zugewandt, in dem Janine Tobürens Werk noch neue Pfade gefunden hat.
Bereits 2009 fragt Tobüren, was an einer Geste PERSONAL? sei. In einem einem ersten Schritt bringt sie ihre ganz „persönliche“ Geste mit Tusche aufs Papier, aber nur um sie dann, einmal gefunden, auf Folie drucken zu lassen, die sie wiederum ausschneidet und auf einen Holzrahmen klebt. Erst die Folie schafft dabei die nötige Distanz zur unmittelbaren Malgeste und wird somit zum Mittel, um das vermeintlich persönliche im malerischen Ausdruck zu hinterfragen. Es wundert daher nicht, dass Tobüren sich oftmals mit den Werken der Abstrakten Expressionisten auseinandersetzt, deren Bilder als unmittelbarer Ausdruck psychischer Zustände gelten. In einer Reihe von Skulpturen hat Janine Tobüren die schwarzen Farbbalken auf den Bildern von Franz Kline ins Dreidimensionale übersetzt. Aus den gemalten Linien werden dick mit schwarzer Farbe bestrichene Holzbalken, die gleichsam in den Raum hineingezeichnet sind. Mit einer Arbeit wie der Wandinstallation CONNECTIONS von 2011, in der sie prints verschiedener Künstler der New York School bis hin zu Basquiat in siebenfacher Verkleinerung an die Wand bringt, zeigt sie durch Hängung und Anordnung ganz deutlich die gegenseitigen Beeinflussungen von Künstlern, deren Werk eigentlich als absolut eigenständig gilt. So bleiben immer zwei Möglichkeiten der Betrachtung: Entweder ich sehe und erfreue mich direkt an der Skulptur oder Malerei vor meinen Augen oder ich folge den in ihr versteckten Verweisen, die eine oft augenzwinkernde Auseinandersetzung mit dem Konzept der Originalität darstellt, vor allem dann, wenn Tobüren sich 2011 selbst in die Reihe ihrer IDOLS stellt. Hier „remixt“ sie Werkreihen von Cy Twombly und die von ihnen inspirierten Bilder Jean-Michel Basquiats. Dabei bilden die Künstler ihre Vorbilder voneinander beeinflusst ab, Cy Twombly als Initiator dieser Reihe, wird durch Basquiat somit selbst wieder zum Idol. Dann kommt Tobüren und erweitert diese Hommage noch einmal um ihr eigenes Werk. In ihren neuesten Arbeiten, den REARRANGEMENTS von 2012, zeigt sich die Künstlerin besonders selbstbewusst, wenn sie an den Linien von Tuschezeichnungen Brice Mardens entlang schneidet und die so gewonnenen Zwischenräume als Neuarrangement zusammenfügt. Hier zeichnet sich eine Direktheit und Unbefangenheit im Umgang mit dem fremden Werk ab, die die Strukturen der Bilderzeugung ganz im Zeichen der Postmoderne verstanden zu haben scheint: dass die Kopie eine stets gegenwärtige Realität darstellt, die dem Original zugrundeliegende Bedingung bleibt.
Rosalind Krauss, Herta Wolf (Hrsg.); Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam und Dresden 2000, S. 211
Eine neue Form geben – Werke von Janine Tobüren, Claudia Rinke, 2011
Was ist das Wesentliche der originalen künstlerischen Geste? Kann man diese Geste in eine andere Form übersetzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Janine Tobüren in ihren Arbeiten. Dabei geht sie von Werken bekannter Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Insbesondere die abstrakten Expressionisten der 1940er und 1950er Jahre bilden die Grundlage ihrer Arbeiten. Bei den Werken von Jackson Pollock, Franz Kline oder Willem de Kooning ist es die künstlerische Geste, die sich durch die Aktion der Malerei auf der Leinwand manifestiert. In der Aktion der Malerei liegt somit das wesentliche des künstlerischen Schöpfungsaktes und die künstlerische Geste ist der individuelle Ausdruck eine jeden Künstlers.
Janine Tobüren nimmt sich Gemälde der genannten Künstler als Vorlage und setzt sie in eine neue, ihre eigene Formensprache um. Die abstrakten Gemälde von Franz Kline überführt sie in dreidimensionalen Objekten aus Holz oder Bronze. Meryon’s Sculpture, 2011 ist eine dieser Arbeiten. Als Vorlage diente das Gemälde Meryon, 1960. Die gemalten schwarzen gestischen Linien des Gemäldes werden in ihren Skulpturen zu Linie im Raum, die aus, dick mit schwarzer Acrylfarbe bemalten Holzlatten bestehen. Die Skulptur entspricht in ihrer Höhe und Breite sowie in ihrer Farbigkeit genau den Maßen des Vorbildes, doch überführt sie das Gemälde nicht nur in eine andere Form, sondern erweiterte es auch um eine dritte Dimension. Durch das Umschreiten der Skulptur kann man sozusagen die Einansichtigkeit des Gemäldes überwinden und hinter die Leinwand blicken.
Eine weitere wichtige Frage bezüglich der künstlerischen Geste betrifft ihre Einzigartigkeit. Hat jeder Künstler eine unverwechselbare Handschrift? Wie beeinflussen sich Künstler in ihrer Arbeitsweise gegenseitig? Diesen Fragen versucht Tobüren unter anderem bei dem befreundeten Malern Willem de Kooning und Franz Kline auf den Grund zu gehen. In den 1940er Jahren entstanden Werke von beiden Künstlern die sich zum Verwechseln ähneln. Sie zeigen die gleichen gestischen Pinselstriche und Farbwahl. Janine Tobüren lässt Werke von beiden Künstlern aus dieser Zeit auf selbstklebende Folie drucken und schneidet einzelne Element aus, die sie zu neuen Bildern zusammensetzt. Untitled Summer, 2011 ist eine dieser Arbeiten. Es ist nicht mehr erkennbar, welcher Teil aus einem Gemälde von Willem de Kooning oder Franz Kline entnommen wurde.
Seit 2011ist eine künstlerische Position in die Aufmerksamkeit von Janine Tobüren gerückt, die sich nicht mit der expressiven Geste als Ausdrucksmittel auseinandersetzt, sondern diese zugunsten von einfachen geometrischen Formen überwindet: der 1977 verstorbene Düsseldorfer Künstler Blinky Palermo. In der kleinen, fragilen Wandarbeit PALERMO 1965 übersetzt sie eine Aquarellzeichnung Palermos ins Dreidimensionale. Mit I DO setzt Tobüren erstmals Projektion als Ausdrucksmittel ein. Die Arbeit besteht aus zwei Overhead-Projektoren, auf denen aus farbiger Folie ausgeschnittene Kreise liegen, die an die Wände geworfen werden. Sie bezieht sich hier auf eine Serie von Papierarbeiten von Palermo, die er 1976 schuf und mit Who knows the beginning and who knows the end betitelte. Diese zeigen Anschnitte von geometrischen Formen und überlassen die Vollendung der Imagination des Betrachters. Mit der Arbeit I DO gibt sie eine, vielleicht provokative, Antwort auf die Frage nach dem Anfang und dem Ende der Arbeiten von Palermo.
Janine Tobürens Werke sind eine Interpretation der Arbeiten ihrer Vorbilder, eine Überführung in eine neue Form. Dabei hinterfragen sie die Techniken und den Mythos der originalen künstlerischen Geste. Sie analysiert die Formen und Wirkungen der Vorgängerarbeiten genau. In akribischer Detailgenauigkeit untersucht sie Pinselstrich für Pinselstrich und übersetzt ihn in ihre eigene künstlerische Sprache. Die Schnelligkeit der gestischen Malerei wird in ihren Werken durch diese Exaktheit verlangsamt. Sie untersucht auf verschiedene Weisen künstlerische Schaffensprozesse ohne aber eine endgültige Antwort geben zu wollen.
Was ist das Wesentliche der originalen künstlerischen Geste? Kann man diese Geste in eine andere Form übersetzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Janine Tobüren in ihren Arbeiten. Dabei geht sie von Werken bekannter Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Insbesondere die abstrakten Expressionisten der 1940er und 1950er Jahre bilden die Grundlage ihrer Arbeiten. Bei den Werken von Jackson Pollock, Franz Kline oder Willem de Kooning ist es die künstlerische Geste, die sich durch die Aktion der Malerei auf der Leinwand manifestiert. In der Aktion der Malerei liegt somit das wesentliche des künstlerischen Schöpfungsaktes und die künstlerische Geste ist der individuelle Ausdruck eine jeden Künstlers.
Janine Tobüren nimmt sich Gemälde der genannten Künstler als Vorlage und setzt sie in eine neue, ihre eigene Formensprache um. Die abstrakten Gemälde von Franz Kline überführt sie in dreidimensionalen Objekten aus Holz oder Bronze. Meryon’s Sculpture, 2011 ist eine dieser Arbeiten. Als Vorlage diente das Gemälde Meryon, 1960. Die gemalten schwarzen gestischen Linien des Gemäldes werden in ihren Skulpturen zu Linie im Raum, die aus, dick mit schwarzer Acrylfarbe bemalten Holzlatten bestehen. Die Skulptur entspricht in ihrer Höhe und Breite sowie in ihrer Farbigkeit genau den Maßen des Vorbildes, doch überführt sie das Gemälde nicht nur in eine andere Form, sondern erweiterte es auch um eine dritte Dimension. Durch das Umschreiten der Skulptur kann man sozusagen die Einansichtigkeit des Gemäldes überwinden und hinter die Leinwand blicken.
Eine weitere wichtige Frage bezüglich der künstlerischen Geste betrifft ihre Einzigartigkeit. Hat jeder Künstler eine unverwechselbare Handschrift? Wie beeinflussen sich Künstler in ihrer Arbeitsweise gegenseitig? Diesen Fragen versucht Tobüren unter anderem bei dem befreundeten Malern Willem de Kooning und Franz Kline auf den Grund zu gehen. In den 1940er Jahren entstanden Werke von beiden Künstlern die sich zum Verwechseln ähneln. Sie zeigen die gleichen gestischen Pinselstriche und Farbwahl. Janine Tobüren lässt Werke von beiden Künstlern aus dieser Zeit auf selbstklebende Folie drucken und schneidet einzelne Element aus, die sie zu neuen Bildern zusammensetzt. Untitled Summer, 2011 ist eine dieser Arbeiten. Es ist nicht mehr erkennbar, welcher Teil aus einem Gemälde von Willem de Kooning oder Franz Kline entnommen wurde.
Seit 2011ist eine künstlerische Position in die Aufmerksamkeit von Janine Tobüren gerückt, die sich nicht mit der expressiven Geste als Ausdrucksmittel auseinandersetzt, sondern diese zugunsten von einfachen geometrischen Formen überwindet: der 1977 verstorbene Düsseldorfer Künstler Blinky Palermo. In der kleinen, fragilen Wandarbeit PALERMO 1965 übersetzt sie eine Aquarellzeichnung Palermos ins Dreidimensionale. Mit I DO setzt Tobüren erstmals Projektion als Ausdrucksmittel ein. Die Arbeit besteht aus zwei Overhead-Projektoren, auf denen aus farbiger Folie ausgeschnittene Kreise liegen, die an die Wände geworfen werden. Sie bezieht sich hier auf eine Serie von Papierarbeiten von Palermo, die er 1976 schuf und mit Who knows the beginning and who knows the end betitelte. Diese zeigen Anschnitte von geometrischen Formen und überlassen die Vollendung der Imagination des Betrachters. Mit der Arbeit I DO gibt sie eine, vielleicht provokative, Antwort auf die Frage nach dem Anfang und dem Ende der Arbeiten von Palermo.
Janine Tobürens Werke sind eine Interpretation der Arbeiten ihrer Vorbilder, eine Überführung in eine neue Form. Dabei hinterfragen sie die Techniken und den Mythos der originalen künstlerischen Geste. Sie analysiert die Formen und Wirkungen der Vorgängerarbeiten genau. In akribischer Detailgenauigkeit untersucht sie Pinselstrich für Pinselstrich und übersetzt ihn in ihre eigene künstlerische Sprache. Die Schnelligkeit der gestischen Malerei wird in ihren Werken durch diese Exaktheit verlangsamt. Sie untersucht auf verschiedene Weisen künstlerische Schaffensprozesse ohne aber eine endgültige Antwort geben zu wollen.